Kulturhauptstadt Ruhr.2010: Was wird, was bleibt? - Zwischenbilanz zum Programm und eigene Projekte

Konferenz der Fraktion DIE LINKE. im RVR in Zusammenarbeit mit der Rosa Luxemburg Stiftung NRW und dem Kommunalpolitischen Forum NRW - Bericht über den Verlauf der Konferenz von Jürgen Klute, Mitglied im Kulturausschuss des RVR und Wolfgang Freye, Fraktionsvorsitzender.

Kulturhauptstadt Ruhr 2010: Konferenz bekräftigt Forderungen nach Kulturpass und Beteiligung der freien Szene    

?Das Ruhrgebiet wird auch die Kulturhauptstadt Ruhr.2010 einigermaßen unbeschadet überstehen", so zynisch brachte ein Kunstschaffender aus Dortmund auf der Konferenz am 2. Mai 2009 im Gebäude des Regionalverbandes Ruhr (RVR) in Essen seine bisherigen Erfahrungen mit der Europäischen Kulturhauptstadt 2010, Essen für das Ruhrgebiet, auf den Punkt. Eingeladen hatten die Fraktion DIE LINKE im RVR, die Rosa-Luxemburg-Stiftung NRW und das Kommunalpolitische Forum NRW.  

Fritz Pleitgen, früherer WDR-Intendant und einer der beiden Geschäftsführer der Ruhr.2010 GmbH, sah dies naturgemäß anders. Er stellte in seinem Redebeitrag noch einmal die bisherigen Ergebnisse der Arbeit der GmbH heraus, die im ersten Teil des Programmheftes für 2010 dargestellt sind. Für Pleitgen geht es vor allem darum, das Ruhrgebiet als eine interessante Region, die das Image der Schwerindustrie hinter sich gelassen hat, international bekannt zu machen.  

Im Vergleich zu Linz, der Kulturhauptstadt 2009, habe das Ruhrgebiet jedoch eine vergleichsweise bescheidene Finanzausstattung, so Fritz Pleitgen weiter. Linz, mit knapp 190.000 Einwohnern nur wenig größer als Herne, verfügt über etwa den gleichen Etat für das Jahr der Kulturhauptstadt wie die Kulturhauptstadt Ruhr.2010. Das Projekt Ruhr.2010 bezieht allerdings 53 Städte mit rund 5,5 Mio. Einwohner/innen ein.    

Kulturpass für geringe Einkommen  

Ein wichtiges Thema der Konferenz war die Frage der Bezahlbarkeit der Eintrittspreise und der Anfahrten zu den Veranstaltungen der Kulturhauptstadt. Wolfgang Freye, Sprecher der Fraktion DIE LINKE im RVR, hatte dieses Thema bereits in seiner Eröffnungsrede angesprochen und auf die entsprechenden Anträge der Fraktion hingewiesen. Sie hatte in der Januar-Sitzung des Verbandes beantragt, die ohnehin vorhandenen Ermäßigungen bei den Kulturträgern in der Region zusammenzustellen und weitere Ermäßigungen für Menschen mit niedrigen Einkommen sowie einen einheitlichen Zugang zu diesen Ermäßigungen mit einem regionalen Kulturpass zu prüfen.   Fritz Pleitgen bestätigte, dass an dieser Frage noch gearbeitet wird. Immerhin arbeiten 50.000 Beschäftigte im Ruhrgebiet im kulturellen Bereich, viele davon in prekären Verhältnissen. Im Bergbau sind es noch rund 35.000.  

Die Berliner Kulturwissenschaftlerin Konstanze Kriese (DIE LINKE) richtete einen Blick von außen auf das Ruhrgebiet. Das Ruhrgebiet, so Kriese, müsse nicht erst eine Metropole werden. Das sei es längst. Es sei allerdings unsinnig, das Ruhrgebiet mit London, Paris oder Berlin vergleichen zu wollen. Die Metropolendebatte, die im Zusammenhang mit der Kulturhauptstadt gegenwärtig geführt wird, erscheine ihr deshalb eher abwegig. Das Ruhrgebiet sei eine ganz andere Art von Metropole als z.B. Berlin. Berlin sei eine Durchgangsmetropole, das Ruhrgebiet hingegen eine Ankunftsmetropole schon für die vielen Zuwanderer aus osteuropäischen Regionen gewesen. Gerade die damit verbundene Bodenständigkeit sei aus der Außenperspektive etwas Interessantes und Spannendes am Ruhrgebiet.  

Den bisherigen ersten Teil des Programms für 2010 beschrieb sie durchgehend als zu wenig mutig. Am Beispiel eines Krimi-Projektes regte sie an, damit nicht nur über Krimis als Literaturform zu debattieren, sondern mit diesem Projekt eine Debatte über Kriminalität in der Gesellschaft anzustoßen.

Erfahrungen aus Liverpool  

Liverpool war eine der Kulturhauptstädte 2008. Die Fraktion DIE LINKE. im RVR hatte im Herbst letzten Jahres Liverpooler besucht, um sich über die dortigen Erfahrungen mit dem Projekt der Kulturhauptstadt zu informieren. Am ersten Tag hatte sich die Delegation mit der örtlichen Sektion der britischen Dienstleistungsgewerkschaft UNISON und mit Vertretern der Liverpooler Stadtverwaltung und des Stadtrates zum Informationsaustausch getroffen. Den zweiten Tag hatte die Delegation der LINKEN dazu genutzt, sich bei dem Liverpooler Projekt-Träger der Kulturhauptstadt über deren Konzept zu informieren. Auch in Liverpool ist dazu eine private Trägergesellschaft gegründet worden, ebenfalls eine GmbH (Ltd.).  

Vor diesem Hintergrund hatten die Veranstalter der Konferenz den Vorsitzenden der Region Unison North-West-England, Frank Hont, eingeladen. Frank Hont berichtete über die Erfahrungen mit der Liverpooler Kulturhauptstadt aus Gewerkschaftssicht. Er kritisierte die bis jetzt noch nicht geklärte Finanzierung. Unison befürchtet, dass die immensen Kosten der Kulturhauptstadt 2008 durch Personalabbau gegenfinanziert werden könnten.

Frank Hont kritisierte viele Großprojekte und ?-events? in Liverpool. Sie waren zu teuer für Menschen mit geringem Einkommen. Auch die Sinnhaftigkeit der Projekte stellte er in Frage. Das gesamte Projekt habe sich auf die Innenstadt konzentriert und die weniger wohlhabenden Stadtrandgebiete ausgeklammert. Es seinen zwar einige hundert neue Jobs entstanden, aber dabei handele es sich vorrangig um prekäre Jobs im Hotel- und Gaststättengewerbe.  

Inhaltlich bemängelt Frank Hont, dass die Projekte die Kultur der Arbeiterklasse (?working class culture?) ausgegrenzt haben. Einige Gewerkschaften haben deshalb eigene Projekte entwickelt und durchgeführt, z.B. ein Fotowettbewerb für Schüler/innen zum Thema ?Menschen bei der Arbeit?, ein Literaturprojekt und einen Stadtplan mit Rundgang zu historischen Orten der Arbeiterbewegung in Liverpool. Frank Hont meinte, dass es ein paar wenige kleine Projekte gibt, die die Chance haben, nach 2008 weiterzulaufen ? die gewerkschaftlichen Projekte gehören dazu.  

Er warnte vor einer Übertragung der Organisation und Durchführung an ein privatwirtschaftliches Unternehmen. Er könne keinen Vorteil einer solchen Strategie erkennen. Der Nachteil sei, dass die Stadt kaum mehr Einfluss auf das Projekt habe.    

?Off-Art?-Programm  

Nach den Vorträgen wurde in Workshops weitergearbeitet. Dabei ging es um die Frage nach einem linken Kulturverständnis und linke Kulturpolitik. In den Workshops bestand große Einigkeit darüber, dass linke Kulturpolitik auf keinen Fall Kunstschaffenden vorgeben darf, was Kultur sei. Vor allem habe sie gute Rahmenbedingungen zu schaffen, damit Kulturschaffende arbeiten können. Kunst gibt es nicht zum Null-Tarif.  

Was man nun unter Kultur versteht, das war umstritten. Dass der Kulturbegriff diskutiert werden muss, wurde aber durchgehend als nötig empfunden. So umfasst ein enger Kulturbegriff vor allem (gehobene) Kunst und Bildung. Dem steht ein Verständnis von Kultur gegenüber, dass unter Kultur all das fasst, was Menschen produzieren ? im Unterschied zu dem, was in der Natur ohne Zutun von Menschen entsteht.  

Insbesondere im Blick auf das Theater wurde nach dessen gesellschaftlicher Rolle gefragt. Konstanze Kriese verwies darauf, dass in Senftenberg, einem kleinen Ort mit großen Bevölkerungsverlusten im Osten der Republik, ein Theater existiert, das sich nicht auf die Weggezogenen und auch nicht auf mögliche zukünftige Investoren konzentriert, sondern auf die, die vor Ort geblieben sind. Das Theater hat es mit einem durchaus an den Unterhaltungsbedürfnissen des örtlichen Publikums orientierten Programm geschafft, sich eine neue gesellschaftliche Rolle zu erarbeiten. So treffen sich die Menschen in Senftenberg heute selbstverständlich im Theater, wenn es z.B. um die Frage geht, wie man sich gegen Neonazis wehren kann.  

Im Blick auf die Kommunen wurde herausgestellt, dass es wichtig ist, den Prozess der Kulturhauptstadt sowie den Masterplan Kultur Ruhr, der in den letzten Monaten unter Federführung des RVR erarbeitet wurde, kritisch auf kommunaler Ebene zu begleiten.  

Auch der Frage eigener linker Projekte im Rahmen der Kulturhauptstadt wurde nachgegangen. Im Zentrum standen die Themen ?Friedensbewegung / Ostermarsch", das Ruhrgebiet als Waffenschmiede, Geschichtswerkstätten (um nicht in eine staatlich verordnete und kontrollierte Geschichtsschreibung zurück zu verfallen), eine Konferenz zu den Arbeitsbedingungen in der Kreativwirtschaft und Graffitis als Ausrucksform.  

Angeregt und auch im Plenum diskutiert wurde die Erstellung eines Programms zur Kulturhauptstadt Ruhr.2010, in dem u.a. die ?nichtoffiziellen? Projekte aus der soziokulturellen und der freien Szene sowie aus dem linken gesellschaftlichen Spektrum vorgestellt werden ? ein ?Off-Art?-Program. In der Rosa-Luxemburg-Stiftung gibt es die Idee, die Erstellung eines solchen Programms zu fördern. An die Ruhr.2010 GmbH wurde die deutliche Erwartung formuliert, auf ein solches Zusatzprogramm im offiziellen Programm der Kulturhauptstadt zu verweisen oder auf der Web-Seite der Ruhr.2010 GmbH ein entsprechendes Internet-Portal einzurichten.  

Rund 2.000 Projekte wurden der Ruhr.2010 GmbH für das Kulturhauptstadtjahr vorgeschlagen, entsprechende Förderanträge gestellt. Ganze 150 Projekte sind im ersten Programmheft. Trotzdem werden derzeit auch etliche abgelehnte Projekte von Künstlern und Kulturmachern der Freien Szene vorbereitet. Diese Projekte zu integrieren, diese Aufgabe sollte die Ruhr.2010 GmbH gerade angesichts erheblicher Finanz- und Imageprobleme aufgreifen.  

Abgerundet wurde die Konferenz durch einen Vortrag von Lothar Bisky, der sich dem Thema ?Europas kulturelle Identität ? Kooperation und Vielfalt? widmete und gezielt die verengte Perspektive von Kultur als Kunst aufbrach. Lothar Bisky wandte sich gegen die von den Unionsparteien geforderte Verankerung eines christlichen Bezuges in den EU-Verträgen oder einer Europäischen Verfassung und forderte, Kultur als Staatsziel ins Grundgesetz aufzunehmen. ?Die bisher freiwillige Aufgabe Kultur würde sich nicht länger im finanziellen Bermudadreieck zwischen Sozialem, Jugend und Bildung aufhalten müssen?, hieß es wörtlich. (Jürgen Klute, Wolfgang Freye)